kath.ch Medienspiegel – 17.09.2015, 10:13

Liebe Fremde, böse Fremde

Ein Essay von David Signer. Der Fremde weckt ambivalente Gefühle. Kommt er in freundlicher oder feindlicher Absicht? Ist er ein Dieb, oder bringt er Geschenke? Diese widerstreitenden Reaktionen kann man schon bei Kindern beobachten, wenn ein Unbekannter zur Türe hereinkommt. Vielleicht verstecken sie sich zuerst, aber neugierig sind sie doch. Die Fremden ähneln darin dem anderen Geschlecht, das ebenso fasziniert wie irritiert. Allerdings hält man Ambivalenz schwer aus. Man bevorzugt Eindeutigkeit. Also erklärt man die Unbekannten entweder zu Freunden oder zu Feinden. Am besten sieht man diesen Hang zum Extremen bei den denkbar fremdesten Fremden, die es zudem gar nicht gibt – den Aliens. Fast immer stellt man sich die Ausserirdischen entweder als Zerstörer oder als Heilbringer vor. Auch die Immigranten teilt man gerne in eindeutige Kategorien ein. Man vereinfacht die verwirrenden Begegnungen mit ihnen, indem man manche – zum Beispiel Albaner, Nigerianer, Muslime – zu Bösen ernennt und andere – zum Beispiel Tibeter, Ungarn oder Syrer – zu Guten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass man die Gefühle gewissermassen staffelt. Man schimpft zuerst über eine Gruppe – etwa Italiener, Tamilen, Deutsche -, und einige Jahre später schliesst man sie ins Herz.

Quelle: NZZ

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